24. Walk a mile
Bei den nicht ganz so modernen Kreuzfahrtschiffen, findet man noch ein umlaufendes Promenadendeck. Dieses wird seit Anbeginn der Kreuzfahrten zum Entspannen und Flanieren an frischer Luft gerne von den Passagieren genutzt. Schon in den frühen Morgenstunden begegnet man dort Mitreisenden, die im sportlichen Jogging- Outfit und mit Walkingstöcken ausgerüstet, ihre Runden drehen. Bei einem Schiff mit einer Länge von 200 Metern, entspricht das Deck ja auch annähernd der Länge einer Aschenbahn im Sportstadion. Frühsport im Hochseeklima ist sehr gesundheitsfördernd. Zumindest zwei Drittel der Runde bieten selbst bei Schlechtwetterlage, das vielgerühmte und hochgelobte Reizklima. Der hintere Teil der Runde, das Achterdeck, liegt dann jedoch im Bereich der von Luftdruck und Feuchtigkeit niedergeschlagenen Abgasschwaden aus dem Schornstein. Der beißende schweflige Geruch und die Rußpartikel verderben sowohl den Spaß, wie auch den gesundheitlichen Gesamterfolg. Die Kurzatmigkeit der Walker ab der dritten Runde, ist jedoch eher der sportlichen Leistungsfähigkeit als dem unvollständig verbrannten Schweröl zuzuschreiben. Ein sicheres Zeichen für den konditionellen Zustand ist auch die Stockführung. Zu Beginn werden die Arme, wie es sein sollte, bis über Kopfhöhe aufgeschwungen. Ganz so wie wir es von Ski-Langläufern und Bi-Athleten kennen. Ab Mitte der zweiten Runde, geht der Aufschwung nicht mehr über Brusthöhe hinauf, um in der dritten Runde in Hüfthöhe zu verharren. Die Stöcke werden dann nur noch über die Teakholzplanken hinterhergeschleift. Glücklicherweise steht dann aber auch schon das „Early-Bird-Frühstück“, für die Johnnie Walkers der Deckpromenade bereit. Einige der meist älteren Walker fallen durch ihren steifen Laufstil ins Auge. Die ruckartigen Bewegungsabläufe erinnern sehr stark an die Darsteller der Augsburger Puppenkiste.
Viele Reiseveranstalter bieten Walkingrunden auch als organisierte Veranstaltung im Tagesprogramm an. Bei „Fit in den neuen Tag“, mit Mandy, Sandy, Cora, Danny, Mike oder Kevin als Animateure, wird eine festgelegte Anzahl Runden absolviert. Wozu an Deck eines Schiffs eine geführte Wanderung nötig ist, entzieht sich meinem Verständnis. Ein Verlaufen ist auf dem Promenadendeck nahezu unmöglich. Es muss wohl der selbstauferlegte Gruppenzwang sein, dem sich die Teilnehmer unterwerfen. Unter Gleichgesinnten gibt man eben nicht so schnell auf. Und bei der ersten Überrundung, herrscht dann auch eine ausgelassene Freude in der gesamten Gruppe. Nur der oder die Überrundete teilt die Freude nicht voll umfänglich.
Ganz so, wie es dem menschlichen Naturell entspricht, hat die organisierte Gruppe natürlich Vorrang. Da wird man als non-walker auch schon einmal rüde aufgefordert aus dem Weg zu gehen. Glücklicherweise jedoch eher selten unter Gebrauch des Stocks als Waffe. Die Einzelperson, die sich vereinslos an Deck bewegt, hat für den Moment der Gruppenpassage, ihr Aufenthaltsrecht verwirkt.
Neben den Walkern organisiert und unorganisiert, gibt es da noch die Einzelkämpfer, die im Laufschritt nach sportlichen Höchstleistungen streben. Sie drehen im neonfarbenen Sportdress mit Spezial-Laufschuhen und Stirnband, Runde auf Runde und kommen natürlich gänzlich ohne Walkingstöcke aus. Das Sekundärziel eine von Tag zu Tag gesteigerte Leistung bringen zu müssen, verwehrt ihnen den Blick auf die Schönheiten der sie umgebenden Natur. Es zählen nur Zeiten und Strecken. Die angeblich, durch Laufen im Körper freigesetzten Glückshormone, lassen sich an ihren verbissenen Gesichtern nur schwer erahnen. Die auf diese Weise ihre Fitness verbessernden Läufer, sieht man auch erst etwas später an Deck. Dazu muss es belebter sein. Denn es nutzt ja nun nichts, wenn man sich so quält und niemand bekommt es mit. Dann wäre das Primärziel des Gesehenwerdens verfehlt.
Für den Nichtläufer der beste Moment, um an Deck Ruhe zu finden, ist die Zeit des Sonnenaufgangs. Dann trifft man diejenigen die das Erwachen des Tages als Naturereignis verstehen und genießen. Ob einfach nur der aufgehenden Sonne zusehend oder sich mit Tai-Chi-, Yoga-, oder einfachen Dehnübungen beschäftigend, herrscht eine ruhige und entspannte Atmosphäre. Bis zu dem Moment, da zur Frühsport- Attacke geblasen wird.
Mir persönlich bereitet es einen Heidenspaß, bei der in meinem Rücken vorbeiwalkenden Meute, einen Stau mit Auflaufunfällen zu provozieren. Dazu genügt der Ausruf: „Oh ! Dort ! Ein Wal, ein Wal !“
Das hängt wohl ursächlich mit meiner Neigung zusammen den Frühspott, dem Frühsport vorzuziehen.